Neue Gedichte

 
August 2021

 

Kein Krieg

Kein großer Krieg seit dreiviertel Jahrhundert,

nur viele kleine mit kaum erwähnenswerten Toten.

Das allgemeine Sterben wurde aufgehalten.

Viele fielen, wurden gequält, verhungerten,

aber die Pilzwolken stiegen nur vereinzelt

oder im Geheimen. Man hatte sie, zeigte sie vor,

aber gebrauchte sie kaum, soviel man wusste.

 

Aber wer hält diese Langeweile aus, wenn er

einen Kasten Feuerwerk im Keller hat? Dieses

verborgene Dröhnen, diese Funken, dieser

stechende Qualm – ungenutzt?  Wir könnten

endlich unsere Größe sichtbar feiern, Propaganda

ist einfach nicht genug. Und inzwischen gibt

es immer mehr von uns, einige fett, viele hungrig.

 

Leute, wir müssen uns dezimieren, vielleicht

hilft eine Pandemie für Milliarden – macht

also Platz, schafft Raum.  Frieden? Aus der Traum.

Es wird Stille sein, Sand und Scherben –

eine wunderschöne Welt, die keiner sehen kann.

 

Zurückgedacht

Denke ich an die Untaten

zur Zeit meiner Geburt,

wundere ich mich, dass es mich gibt.

Auf dem Weg zu mir

hätte meine Mutter getötet werden können.

Es gab genügend Bomben

für sie und für mich

und genügend Soldaten von allen Seiten,

die auf sie warteten, und auf mich.

 

Ich wurde in einer Herberge geboren,

die eine Kneipe war

an der Straße auf der die Geschlagenen zogen

und die anderen hinter ihnen.

Ein Arzt in Uniform und Stiefeln

zog mich hervor. Er lächelte

und rannte weiter.  Wir blieben

und lebten von den Kartoffeläckern.

Zu der Zeit war ich noch unversehrt.

Die Beschädigung kam zu Anfang des Friedens.

 

Altes Herz

Du mein altes Herz,

sei nicht still,

der Schmerz wird dich

früh genug verlassen.

Ich will dich fühlen,

wissen, dass du da bist,

bei mir, wo du anklopfst

bis dir aufgetan wird

von den Alten, den

immer noch Jungen,

von den Toten und

den Lebenden,

die darin beschlossen sind.

So tretet ein, bis mich

schwindelt von euren

Formen, von euren

fast vergessenen Stimmen,

die mich rufen – also

sei nicht still, sei laut,

dass du nicht hören musst.

 

Im Gewitter

Das Gewitter reißt mir den Hut vom Kopf

und den Strom aus der Leitung,

nimmt das Licht aus den Lampen

und es trommelt auf meine Ohren,

was keinen wundert, der hören kann.

 

Es ist ein Sommergewitter, das beweglich ist,

und es ist weitergezogen über die Hügel

in das nächste Tal und über den Fluss.

Mein Hut fiel auf die Straße und folgte den Böen.

Nun da er wieder bei mir ist, hat er drei Ecken,

mindestens, und ist reif für die Kleiderkammer.

Er ist mein Gewitterhut, doch man sieht es

ihm nicht an, bis auf die volkstümlichen Ecken.

 

Gräberfeld

Hast du gewonnen,

wirst du sie wieder

und wieder kämpfen,

die Siege noch einmal,

die du überlebtest –

 

du lebst und dieses

Gefühl dauert an,

dein Leben lang,

der Sieg, die Fanfaren –

wärest du gefallen,

 

könntest du sie nicht

hören, könntest nicht

die Flaggen sehen

am Meer der Kreuze,

die bedeuten: Hier

 

und hier ist’s gewesen,

hier liegen die Zeugen.,

die Köpfe und Glieder,

das geronnene Blut –

ja, gewonnen, gewonnen.

 

Wo bleibt Nietzsche

War es vor über hundert Jahren anders,

als Nietzsche in Genua den geschundenen

Klepper umarmte, ein leidendes Wesen, wie er,

du oder ich? 

 

Wo bleibt heute ein Nietzsche oder Jedermann,

der die Kinder umarmt im Zeltdorf

an irgendeiner Küste, vielleicht einer Insel,

wo Dreck liegt und es Dreck zu essen gibt?

 

Geschundene, ausgemergelte, leeräugige Wesen

treiben tot in Flüssen reicher Städte,

sammeln Abfall aus Tonnen und von der Straße,

wo sie auch schlafen.

 

Wo bleibt ein Nietzsche und zeigt seinen Schmerz,

ein öffentlich Irrer, ein philosophischer Clown,

einer ganz anders als du und ich, der um

Klapperdürre weint und schreit, und um uns?

 

Kurzes Jahr

Dies ist das Jahr,

in dem der fünfte Monat ausfiel

und zum zweiten Februar wurde.

Nur der Schnee blieb aus,

als der Regen auf die Dächer trommelte

und der Sturm uns den Marsch blies.

Nun, im Mai, dachten wir

an den einstmals schönen Monat,

in dem die Liebe und die Kirschen blühten,

wo heute harte Äste im Grase liegen.

Der Rest des Jahres ist unbekannt

und vielleicht kurz.

Ich denke, es sucht sich seinen Weg

durch dunkle Tage, an denen

kein Kalender gilt –

es gilt bald eine neue Währung.

 

Politische Gedichte

Ich schreibe keine politischen Gedichte,

weil die Wahrheit nicht geduldet wird

und auch nicht die Suche danach –

es darf nur Reklametexte geben für

Mittel, mit denen weißgewaschen wird,

denn saubere Hemden, ganz in Weiß,

wie es heißt, sind aller Leute Ideal.

 

Mir ist das egal, meine Hemden sind blau

wie die Hosen aus Zwirn, sie bedeuten

Arbeit, auch für das Hirn. Schuld und

Unschuld, sie gelten nicht mehr.

Die Tribunale und großen Sprüche sind

nur schändlich Theater. Sei still,

schreib’s mit: Keine Wahrheit im Licht.

 

Hinauffahrt

Heute ist der Tag für Väter –

das Kind kam zur Visite.

Ein paar Tage dauerte der Besuch,

aber jetzt ist es genug.

 

Es wird hinaufgefahren –

ein Blick zurück, keiner hat´s bemerkt.

Aber Vater wartet mit Wein und Feigen

(oder wird dort oben nicht gespeist?).

 

Nun sind alle in der Höh´ vereint –

was wird aus uns Gottlosen werden?

 

Zwei Quintette

Wenn du nichts mehr wissen möchtest

und dir die Ohren zuhältst

und das Gedächtnis verschließt

und in der Zeitung immer dasselbe liest,

auch wenn die Texte sich ändern,

 

dann ist nach zu vielen Jahren eine Schallmauer erreicht,

die durchbrochen werden muss,

bevor der Schleudersitz ausgelöst wird

und du in die tosende, tobende Realität fliegst

und dem furchtbaren Aufschlag entgegensiehst.

.

Offensichtlicher Vergleich

Die Hummeln, Bienen und Wespen fliegen

und tun ihre Arbeit den Tag lang,

wie die anderen Insekten, beobachtet von

den Vögeln, vor allem den Amseln und Finken,

die auf ihren Zweigen wippend lauern

bis zum nächsten Aufschwung und Niederstoßen

auf die Fliegen und Mücken –

diese Geschwader im Überlebenskampf

 

sind mehr als die fliegenden Tornados und anderen

Jäger unter den Wolken und darin,

die nichts finden und sammeln, die immer wieder

töten üben, aber sich nicht nähren,

sondern unseren Reichtum verbrauchen,

so lange er noch vorhanden ist

unter dem Summen und Gröhlen der Motoren.

 

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